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KI mit Big vs. Small Data: Google DermAssist und mehr

Nahaufnahme eines Gesichts mit leuchtenden digitalen Ziffern

Braucht es wirklich Riesendatensätze, um KI in der Dermatologie sinnvoll einzusetzen? Oder reicht auch eine kleinere, präzise gewählte Datenbasis – mit robuster Aussagekraft und klarem Fokus? Ein mittelständisches Life-Science-Unternehmen aus Deutschland zeigt, dass KI-Lösungen auch fernab von Silicon Valleys DermAssist-App möglich sind. Erfahren Sie, warum mehr nicht immer besser sein muss und entdecken Sie inspirierende Beispiele, die zum Umdenken anregen.





Zusammenfassung

  1. DermAssist, eine KI-basierte Hautanalyse-App von Google, die mit über 65.000 Bildern trainiert wurde, stellt ein Musterbeispiel für KI im Big Data Modus dar.

  2. Eine Übersicht zeigt verschiedene KI-Dermatologie-Tools aus Europa und den USA samt Einsatzgebieten, Modellen und Besonderheiten.


  3. PsorX-LabDisk von Dermagnostix, eine datensparsame KI-basierte Alternative, unterscheidet Ekzem und Psoriasis mittels Analyse von nur zwei Genmarkern.


  4. In der medizinischen Diagnostik stehen klassische, transparente Modelle komplexen, aber oft schwer nachvollziehbaren neuronalen Netzen gegenüber. Während Letztere hohe Leistung bieten, punkten Erstere mit Nachvollziehbarkeit.


  5. Für Life-Science-KMU sind schlanke, erklärbare Modelle oft praxisnäher, schneller umsetzbar und regulatorisch vorteilhafter. Die Auswahl eines KI-Modells bestimmt dabei nicht die Datenmenge (wieviel), sondern der Nutzen (wozu).

Inhaltsverzeichnis




  



Ein dunkler Fleck auf dem Unterarm wirft Fragen auf. Handelt es sich um ein harmloses Muttermal – oder steckt mehr dahinter? Die Bilder und Warnungen aus den Aufklärungsbroschüren kommen einem sofort in den Sinn. Einen zeitnahen Termin beim Hautarzt zu bekommen, ist aber nahezu unmöglich.


Um dennoch Gewissheit zu erlangen, wird kurzerhand das Handy gezückt: App öffnen, Fotos machen, ein paar Fragen beantworten. Sekunden später liefert die Anwendung erste Einschätzungen – inklusive Empfehlung, ob ein Arztbesuch notwendig ist.


Was vor wenigen Jahren noch nach Zukunftsmusik klang, ist heute Realität. Zum Beispiel mit Googles Anwendung DermAssist.


Illustration eines Mannes der ein Foto eines Hautausschlags mit seinem Handy macht


1.     DermAssist: Hautdiagnose im Big-Data-Modus

Schon in einem früheren Beitrag haben wir über Googles faszinierende App DermAssist berichtet (hier mehr erfahren); nun möchten wir sie im Rahmen unseres neuen Artikels zu "Big Data vs. Small Data" erneut in den Fokus rücken. Zur kurzen Erinnerung:


DermAssist zählt zu den bekanntesten KI-basierten Systemen im Bereich der Dermatologie. Die App – bzw. Webanwendung – analysiert Hautveränderungen anhand von drei Fotos und einigen Symptombeschreibungen. Laut Angaben von Google erkennt der zugrundeliegende Algorithmus 288 verschiedene Hauterkrankungen. Dabei berücksichtigt er unterschiedliche Hauttypen und Altersgruppen.


Die Anwendung erreicht eine diagnostische Genauigkeit von rund 90 % – vergleichbar mit erfahrenen Dermatolog:innen, so eine Studie in Nature Medicine. Dahinter steckt jedoch ein tiefes neuronales Netz, trainiert mit über 65.000 klinischen Hautbildern und mehreren Millionen zusätzlicher Referenzdaten.


Ein beachtlicher technischer Aufwand, der zweifellos seine Berechtigung hat. Aber: Müssen KI-Systeme immer gleich mit derartigem Datenvolumen ausgestattet sein? Erfahren Sie im nächsten Abschnitt, ob es nicht doch die eine oder andere KI-Dermatologie Lösung gibt, die aus der datenhungrigen Mehrheit heraussticht.



2.     Weitere KI-basierte Dermatologie-Tools


In einer Übersichtstabelle haben wir verschiedene Anwendungen aus Europa und den USA für Sie aufgelistet: Wo kommen sie zum Einsatz? Welche Modelle werden genutzt? Und was ist das besondere an diesen Anwendungen? Hier ein kurzer Überblick:


Produktname & Unternehmen

Einsatzgebiet

Praktische Anwendung & Anwender

KI-Modell

Zulassung

Besonderheit

DermaSensor (DermaSensor Inc., USA, 2011)

Nicht-invasive Risikobewertung von Hautläsionen in der Primärversorgung

Optische Spektroskopie, Risikowert Hausärzte

Mischung Spektroskopie + ML/NN

FDA-Clearance, CE (EU), Australien,Neuseeland

Erstes KI-Spektroskopiegerät mit FDA-Zulassung

MoleanalyzerPro(FotoFinder Systems, DE, 2015)

Unterstützung bei der Beurteilung von Hautläsionen mittels Dermatoskopie

Dermatoskopieaufnahmen, Risikoscore, Total Body Mapping Dermatologen

Deep Learning, CNN

CE-zertifiziert (EU)

Zweitmeinungsservice, tiefe Praxisintegration

SkinVision  (SkinVision B.V., NL, 2012)

Früherkennung von Hautkrebs durch App-basierte Risikobewertung

Fotos per App, Risikoanalyse „niedrig/erhöht/hoch“ Endverbraucher

Deep Learning, CNN

CE-zertifiziert (EU), TGA (Australien)

Einer der ersten Pioniere, hohe Sensitivität (~95 %)

DermEngine  (MetaOptima Technology Inc., Kanada, 2012)

Analyse und Verwaltung von Hautläsionen zur Unterstützung der Hautkrebsdiagnostik

Cloud-Plattform für Hautbildanalyse, Total Body Photography, Teledermatologie Dermatologen, Kliniken

Deep Learning + klassisches ML

CE-zertifiziert (EU), HIPAA-, GDPR-konform

Kombination aus komplexem Deep Learning (Visual Search) und einfachen regelbasierten Entscheidungsbäumen (Anamneseanalyse)

PsorX  (Dermagnostix GmbH, DE, 2020)

Differenzierung zwischen Psoriasis und Ekzemen durch molekulare Markeranalyse

PCR-Test, molekulardiagnostische Genmarkeranalyse (NOS2, CCL27) Labor, Klinik

Klassisches ML (logistische Regression)

CE-zertifiziert (EU)

Einfaches, extrem präzises Modell (~97 %) mit sehr geringen Datenmengen

DermAssist  (Google Health, USA, 2021)

Unterstützung bei der Selbstdiagnose von Hauterkrankungen

Fotos per App/Web, Symptomeingabe, Diagnosevorschläge zu 288 Erkrankungen Endverbraucher

Deep Learning, CNN

CE-zertifiziert (EU), keine FDA

Breites Diagnose-Spektrum (fast 300 Hauterkrankungen), für internationale Anwendbarkeit prädestiniert


Ein Beispiel aus der Tabelle oben sticht besonders hervor – nicht durch Datenmasse, sondern durch einen gezielten, molekulardiagnostischen Ansatz: PsorX-LabDisk von Dermagnostix. Erfahren Sie im nächsten Abschnitt mehr darüber.  


3.     PsorX-LabDisk: Datensparsame Alternative


Dermagnostix, ein mittelständisches Life-Science-Unternehmen aus Deutschland, setzt mit PsorX-LabDisk auf einen datensparenden und zugleich hochpräzisen Ansatz zur Unterscheidung zweier Erkrankungen, die sich klinisch ähnlich präsentieren, Ekzem gegenüber Psoriasis (Schuppenflechte), aber unterschiedlich therapiert werden müssen.


Hier das Diagnoseverfahren mithilfe der PsorX-LabDisk von Dermagnostix im Detail:


  1. Ein Patient kommt mit einer unklaren Hautveränderung. Die klinische Untersuchung ergibt kein eindeutiges Bild. Eine Biopsie wird entnommen – vier Millimeter groß, nicht mehr als ein Stecknadelkopf. In einem Labor oder einer Klinik wird diese Probe anschließend auf eine handtellergroße Disk aufgebracht und in ein Analysegerät eingelegt.


  2. Dort läuft alles automatisiert: RNA-Extraktion, Analyse zweier Genmarker (NOS2 – typischerweise hoch bei Psoriasis und CCL27 – typischerweise hoch bei Ekzem), Auswertung per quantitativer RT-PCR. Die anschließende Bewertung übernimmt ein KI-Modell auf Basis einer L2-regularisierten logistischen Regression.


  3. Das Ergebnis: Nach 45 Minuten bis zwei Stunden liegt eine differenzierte Diagnose vor, die eine gezielte Therapieentscheidung ermöglicht.


Illustration der Haut, einer Art Box mit Disk und einem Häkchen

Trainiert wurde das System mit Daten von rund 130 Patienten, validiert an weiteren 107 Proben. Das Resultat: >95 % Sensitivität, 100 % Spezifität. Der Clou: Es werden nur zwei Gene analysiert. Keine riesigen Bildarchive, keine tiefen neuronalen Netze, keine Black Box. Dafür ein transparentes, auditierbares System – CE-zertifiziert, klinisch validiert, medizinisch nachvollziehbar. Erfahren Sie mehr zu dem Produkt hier.


Betrachten wir im darauffolgenden Abschnitt die zwei verschiedenen KI-Ansätze genauer.


4.     Klassisch linear vs. neuronal komplex

In der Tech-Welt gilt oft: Je komplexer das System, desto besser. In der medizinischen Praxis sieht das anders aus. Hier zählt nicht nur, was ein Modell leisten kann – sondern auch, ob man versteht, wie es zu seinen Entscheidungen kommt.

Erklärbarkeit vor Komplexität vs. Hochleistung vor Transparenz – nachfolgend ein Blick unter die "technische Motorhaube" der verschiedenen Modelle:


4.1      Klassische lineare Verfahren: Erklärbarkeit vor Komplexität


Logistische Regression: Liefert Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Diagnosen. Robust, transparent und gut interpretierbar – besonders wenn nur wenige, aber aussagekräftige Variablen vorliegen – wie im Fall von PsorX-LabDisk.


Entscheidungsbäume: Arbeiten regelbasiert nach einem „Ja-Nein“-Prinzip, die entlang mehrerer Entscheidungsgabelungen zu einer endgültigen Entscheidung führen. Leicht nachvollziehbar und visuell darstellbar (Baum mit sich verzweigenden Ästen).


Um zu vermeiden, dass ein bestimmtes Merkmal (z. B. ein Genmarker) zu stark gewichtet wird (Risiko einer Überanpassung), kann ein Random-Forest-Modell, genutzt werden. Dieses Modell verwendet sehr viele Entscheidungsbäume, denn es gilt: „Ein einzelner Baum kann sich irren – ein Wald liegt selten daneben.“ 


Beispiel: DermEngine von MetaOptima nutzt regelbasierte Entscheidungsbäume in der dermatologischen Anamneseanalyse und Risikobewertung – etwa als Entscheidungshilfe für Dermatolog:innen bei der Frage, ob ein Patient zur spezifischeren Behandlung überwiesen oder weiter beobachtet werden sollte.



4.2     Neuronale Netze – Hochleistung vor Transparenz


Convolutional Neural Networks (CNN): Unverzichtbar für bildbasierte Diagnostik (siehe DermAssist). Erkennen Muster auf mehreren Ebenen – von einfachen Strukturen bis zu komplexen Merkmalen.


Funktionsweise ist jedoch i.d.R. schwer nachvollziehbar und undurchsichtig (siehe Black-Box-Charakter). Für Ärztinnen und Ärzte, die Verantwortung für eine Diagnose tragen, ist das nicht immer hilfreich.


Hier nochmal alle Vor- und Nachteile beider KI-Modelle gegenübergestellt:

Klassisches Machine Learning (z.B. PsorX-LabDisk)

Komplexes neuronales Netzwerk (z.B. DermAssist)

Weniger Daten nötig

Benötigt riesige Datensätze

Hohe Transparenz, leicht erklärbar

Undurchsichtig, schwer nachvollziehbar

Weniger rechenintensiv

Hohe Rechenleistung erforderlich

Ideal für gezielte Marker-Analysen

Ideal für komplexe Bildanalysen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass DermAssist und PsorX-LabDisk exemplarisch für zwei unterschiedliche Wege der medizinischen KI-Entwicklung stehen. Der eine setzt auf allgemeine Breite, Bilddaten und neuronale Netze. Der andere auf spezialisierte Tiefe, molekulare Marker – und ein erklärbares Modell. Welche Implikationen sich daraus für kleine und mittlere Unternehmen aus der Life-Science-Branche ergeben, erfahren Sie nachfolgend.

5.     Was bedeutet das letztlich für Life-Science-KMU?


Für kleine und mittlere Unternehmen im Gesundheitsbereich ergibt sich ein interessantes Spannungsfeld:


Auf der einen Seite stehen datenintensive Systeme (z.B. DermAssist) mit breitem Anwendungsspektrum – technisch faszinierend, aber auch regulatorisch und infrastrukturell anspruchsvoll. Auf der anderen Seite stehen spezialisierte, schlanke Modelle (z.B. PsorX-LabDisk) mit klar umrissener Zielsetzung – oft schneller in der Umsetzung, leichter zu auditieren und näher an der medizinischen Praxis.


Beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Entscheidend ist, das passende Modell für die eigene Fragestellung zu finden (z.B.: Kann ich mich mit einer App schnell selbst diagnostizieren? Soll der Patient überwiesen oder weiter beobachtet werden? Handelt es sich um Psoriasis oder ein Ekzem?) – und nicht dem nächstgrößeren Datensatz hinterherzulaufen.


Nicht die Datenmenge ist entscheidend (wieviel) – sondern das damit zu erreichende Ziel (wozu). Benötigt werden nur so viele Daten, wie es die Fragestellung erfordert.

Auch auf die Rahmenbedingungen und die verfügbaren Ressourcen kommt es an. Der „Small-Data-Ansatz“ bietet dabei insbesondere mittelständischen Unternehmen eine interessante Perspektive. Der Fokus auf erklärbare, gezielte Modelle kann zudem regulatorische Hürden senken und die Zusammenarbeit mit klinischen Partnern erleichtern. Denn dort, wo Verantwortung getragen wird, kann Vertrauen in die Entscheidungswege am Ende ausschlaggebend sein.



Möchten Sie mehr über die Auswahl passender KI-Modelle für medizinische Anwendungen erfahren – oder diskutieren, was für Ihre Situation sinnvoll sein könnte? Wir freuen uns über den Austausch. Verpassen Sie außerdem nicht unsere nächste Veröffentlichung, die wie immer donnerstags und diesmal am 19. Juni erscheint.




Quellen:


  • Foto 1 (abgeändert) von Geralt und Anne Kroiss (Pixabay)

  • Foto 2 erstellt mithilfe von KI in Anlehnung an ein Originalbild von Google Health

  • Foto 3 erstellt mithilfe von KI in Anlehnung an ein Originalbild von Diagnostix


Disclaimer:  Alle Angaben erfolgen nach bestem Wissen und Gewissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität.



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